Dem Flüchtigen Dauer verleihen
Rede zur Ausstellungseröffnung, 2022
von Miriam Esther Owesle
Ein Bär im Gutspark? Für Lilla von Puttkamer ist alles möglich! Dass sie die weiße Rundbank auf dem Rasenparterre vor dem Gutshaus nicht nur mit ihren Holzobjekten ausstattet, sondern darüber hinaus auch gleich mit einer neuen Lackierung versieht, kennzeichnet eine Aktion, mit der die Künstle- rin ihr besonderes Einfühlungsvermögen in den Ort und seine Historie zu erkennen gibt. Dabei bedient sie sich Bildern, deren Ikonografie mit Neu- kladow verbunden ist – bisweilen sogar ohne davon zu wissen. So ruft ihr Gemälde »Löwe und Bettler« eine märchenhaft-poetische Stimmung auf, obgleich real Erlebtes die Künstlerin inspirierte: »Den Bettler habe ich auf dem Weg zur Fähre auf einer Bank sitzen gesehen. Bei der ganzen Schön- heit in Neukladow, dachte ich … das gibt es hier auch.«
Ob Lilla von Puttkamer wusste, dass der einstige Hausherr Johannes Guthmann neuromantische Novellen schrieb oder dass zum einstigen Inventar des Gutshauses mehrere Bettlerfiguren des Bildhauers Ernst Barlach zählten, erscheint marginal im Hinblick auf die Tatsache, dass die Künstle- rin genau den Ton trifft, der nach Neukladow passt! Die Grenzen zwischen Prosa und Poesie heben sich auf, wenn in ihren Bildwelten etwa der Park mit Kronleuchtern geschmückt ist oder ein Hase den Weg ins Gutshaus gefunden hat. Ob das Schild »Zutritt verboten« dessen Erkundungsdrang Einhalt zu gebieten vermag, wissen wir nicht. Aber wir kennen es selbst von unseren Besuchen im Haus, wo es an der Treppe zum Obergeschoss befes- tigt ist. In zarten, lichten Farben und vielfach auf Grün gestimmten Tönen lässt Lilla von Puttkamer real Erlebtes und Erdachtes zu Bildschöpfungen zusammenfließen, die den poetischen Zauber des Ortes spürbar machen.
Während ihrer zwei Wochen in Neukladow arbeitet die Künstlerin bevor- zugt in einem Raum im Obergeschoss an der Nordseite, der ihren Blick auf die mächtigen alten Baumriesen des Gutsparks lenkt. Im Park sieht sie nicht nur die für Neukladow obligatorischen Wildschweine, die sie in einer groß- formatigen Tuschpinselzeichnung locker in Szene setzt. In den Park hinein imaginiert sie auch manches Fabelwesen, das den traumhaft-geheimnisvollen Charakter des Ortes sinnfällig macht.
Dass Neukladow ein Ort des Übergangs ist, wird nicht nur in der zarten Pinselschrift der Künstlerin deutlich, vermittels derer sie Ephemerem adäquaten Ausdruck zu verleihen weiß. Vielmehr zeigt sich diese Auffassung des Ortes auch in einer Vielzahl von Objekten, die ihren Ursprung in Reflexionen über die Neukladower Historie haben.
Ganz am Anfang des Pleinairs kann man Lilla von Puttkamer beim Arbeiten nicht nur zusehen, sondern auch zuhören: Im Schneidersitz hat sie sich auf der Veranda niedergelassen und bearbeitet Holzobjekte, die sie später an der weißen Rundbank installieren wird, mit Schleifpapier: eine Handtasche, einen Rucksack und eine Maske, wie wir sie seit Anfang 2020 als tägliches Accessoire mit uns führen und oftmals auch verlieren: »Ich wollte mit meiner unmittelbaren Umgebung und den daraus entstehenden Ideen arbeiten. Begonnen habe ich mit den Objekten. Mein Einstieg waren die Handtaschen und der Rucksack aus Holz, die Bezug nehmen auf Erinnerungen, im Gutshaus stattgefundene Feste und liegen gelassene Gegenstände.
In Neukladow haben verschiedene Personen gelebt und es fanden viele Umzüge statt. Diesen Sommer bin ich auch mit vielen Taschen zu Ausstellungen und Stipendien gereist. Die Dichterin Mascha Kaléko hat mir dann in ihrem Gedicht
›Rezept‹ eine Antwort für den Umgang mit Ängsten, Reisen und Besitz gegeben. Sie plädiert für ein Leben auf Zeit und einen Status als Gast.« Die Objekte, die Lilla von Puttkamer in Neukladow geschaffen hat – neben den Holzobjekten auch einen Schuh aus Ton – erscheinen vor diesem Hintergrund wie Verbildlichungen nicht nur der Geschichte des Ortes, sondern auch folgender Gedichtzeilen:
»Sage nicht mein.
Es ist dir alles geliehen. Lebe auf Zeit und sieh,
Wie wenig du brauchst. Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.«